Momentan haben laut WHO mehr als 950 Millionen Menschen weltweit keinen Zugang zu augenoptischer Versorgung. Grund dafür ist zum Beispiel, dass Menschen nicht genug Geld haben, um sich eine Brille zu kaufen oder es ganz einfach keine Optiker:innen in der Nähe gibt. Martin Aufmuth hat deshalb die EinDollarBrille, eine günstige und zugleich robuste Brille, in der Werkstatt im Keller seines Hauses erfunden. Im Jahr 2012 gründete der Mathematik- und Physiklehrer den EinDollarBrille e.V. und sorgt seither dafür, dass auch Menschen in Ländern des Globalen Südens Zugang zu Sehhilfen bekommen. Wir durften mit ihm über dieses großartige Projekt, das auch du mit dem Kauf einer Brille aus unserer neuen Kollektion mit Mister Spex unterstützen kannst, sprechen und hatten natürlich einige brennende Fragen im Gepäck!
Was war der Anfang des EinDollarBrille e.V. und warum sind Brillen für euch zu einer Herzenzangelegenheit geworden?
2010 las ich in dem Buch „Out of Poverty“ von Paul Polak, dass eine der letzten großen Erfindungen für Länder des Globalen Südens eine Brille sei, die sich Menschen leisten können, die von einem Dollar oder weniger am Tag leben. Ich dachte nur kurz: Schade, dass es das nicht gibt, da müsste sich mal die WHO oder Optikerverbände etc. darum kümmern und las weiter. Am nächsten Tag sah ich zufällig im 1-Euro-Laden in Erlangen eine billige chinesische Fertiglesebrille für 1 Euro! Ich dachte, seltsam, dass es in unserem reichen Deutschland so eine günstige Brille gibt und in Afrika nicht. Ich begann zu forschen, studierte rund 1.000 Patente und begann mit verschiedenen Materialien zu experimentieren. Das Ziel war eine Brille, die robust ist, sehr günstig in der Herstellung und hübsch aussieht. Außerdem sollten die Gläser leicht austauschbar sein. Nach ein paar Monaten war sie dann fertig – die erste EinDollarBrille, zuerst als einfache Brille ohne Klappbügel…
Der Projektname verrät schon, worum es geht, aber warum gerade Brillen, warum sind die im Globalen Süden so wichtig?
Mehr als 950 Mio. Menschen auf der Welt bräuchten eine Brille, können sich aber keine leisten. Kinder können nicht lernen, Erwachsene nicht arbeiten und für ihre Familien sorgen. Der dadurch entstehende globale Einkommensverlust beträgt laut einer Studie der WHO von 2019 jährlich über 269 Mrd. USD. Wir versuchen tatsächlich ein globales Problem strategisch zu lösen. Allerdings nicht mit Milliarden an Entwicklungshilfe, sondern durch den Aufbau eigenständiger, sozialer Unternehmerstrukturen.
Die EinDollarBrille besteht aus einem extrem leichten, flexiblen und stabilen Federstahlrahmen. Farbige Perlen und Schrumpfschläuche verleihen ihr ein individuelles Design. Die EinDollarBrille wird auf einer einfachen Biegemaschine vor Ort hergestellt, die keinen Strom benötigt und daher auch in armen ländlichen Regionen des Globalen Südens problemlos eingesetzt werden kann. Die Materialkosten für eine Brille liegen bei rund 1 US-Dollar (inklusive Draht, Gläser, Schrumpfschlauch und Perlen). Der Verkaufspreis liegt bei 2 bis 3 lokalen Tageslöhnen eines einfachen Arbeiters.
Es können Brillen in verschiedenen Größen und für unterschiedliche Pupillendistanzen hergestellt werden. Die bereits fertig geschliffenen Brillengläser bestehen aus Kunststoff und sind bruch- und kratzfest. Das Sortiment besteht aus fertig geschliffenen Gläsern in Stärken von -10 bis +8 Dioptrien (in Schritten von 0,5 Dioptrien). Die vorgefertigten Brillengläser können mit einem einfachen Handgriff in den Brillenrahmen eingeklickt werden. Fertig ist die schnellste Brille der Welt! Teure Fräsmaschinen und Strom zum Schleifen der Gläser sind bei diesem System überflüssig.
Wie kommen die fertigen Brillen denn zu den Träger:innen? Wer macht die Sehtests, wer verkauft die Brillen?
Da gibt es einmal das Vertriebskonzept: In den Ländern, in denen der EinDollarBrille e.V. aktiv ist, haben viele Menschen nicht das Geld, um in die Stadt oder zur nächsten Klinik zu reisen und dort eine Brille zu kaufen. Im Rahmen von Augencamps – lokale Kampagnen im Umfeld der Menschen – werden die Patienten vor Ort in ihrem Alltagsumfeld getestet und erhalten gleich im Anschluss eine individuell angepasste Brille. Die Teams des EinDollarBrille e.V. bringen Brillenrahmen in unterschiedlichen Größen und eine Box mit den fertig geschliffen Linsen zu den Augencamps mit. So dauert die Anpassung der Brillen nicht lange und viele Menschen können versorgt werden. Es ist somit kein zweiter Besuch beim Optiker erforderlich, der aufgrund der Kosten ohnehin oft nicht möglich wäre. Daneben baut der EinDollarBrille e.V. in den Projektländern weitere Vertriebskanäle auf, wie beispielsweise eigene Shops oder Verkaufsräume in Kliniken und anderen Institutionen, die vor Ort schon existieren.
Dann gibt es spezielle Ausbildungen: Hierfür hat der EinDollarBrille e.V. in enger Zusammenarbeit mit Augenärzt:innen und Optiker:innen ein eigenes, einjähriges Ausbildungskonzept für Best-Spherical-Correction entwickelt. Diese Ausbildung befähigt dazu, beim Sehtest zuverlässig das bestmögliche sphärische Brillenglas zu finden und die Brille fachkundig anzupassen.
Ebenso werden Frauen und Männer vor Ort in der Fertigung von EinDollarBrillen ausgebildet. Nach erfolgreichem Abschluss können die EinDollarBrille-Produzent:innen selbst hochwertige Brillenrahmen herstellen. Geschulte Qualitätsprüfer:innen sorgen für eine kontinuierliche Qualität der lokal hergestellten Brillenrahmen.