Sprechstunde

Annika Wohlert: „Es sollte normal sein B Corp zertifiziert zu sein."

von Karoline Spring
13.04.2023

Was wäre, wenn alle Firmen neben ihrer Wirtschaftlichkeit einen nachhaltigen oder sozialen Zweck verfolgen würden? Was muss sich für diese Zukunftsvision ändern? Und welche Unternehmen sind eigentlich bereits gemeinsam auf dem Weg? Seit mehreren Jahren ist share B Corp zertifiziert und seit dem letzten Jahr zählen wir sogar zu den „Best for the World“ im Bereich „Community“. Wir haben mit der Community Managerin der Organisation hinter dieser Auszeichnung gesprochen: Annika Wohlert von B Corp.

Darum B Corp

Ein B Corp Unternehmen zu sein bedeutet für uns, die Mitarbeiter:innen, Kund:innen, die Umwelt und unsere Community mindestens in gleichem Maße zu schätzen wie den Profit – wenn nicht sogar mehr! Es bedeutet ebenso, dass wir eine Unternehmensführung haben, die diese Werte aufrechterhält. Mit unserer Auszeichnung gehören wir von allen großartigen B Corps, die ohnehin hohe Standards in Bezug auf ihren gesellschaftlichen und ökologischen Fußabdruck haben, zu den besten 5 % aller Unternehmen vergleichbarer Größe im Bereich Community. 

Hallo Annika, was ist B Corp und was macht ihr?

B Corp ist eine Bezeichnung für die Unternehmen, die wir von B Lab gegen die von uns definierten Standards gemessen und zertifiziert haben. Es beschreibt aber auch eine globale Bewegung von Unternehmen, Einzelpersonen, Organisationen und Menschen, die daran glauben, dass wir die Wirtschaft anders gestalten müssen und dass ein Wandel weg vom klassischen Kapitalismus möglich ist. Wir glauben daran, dass ein Unternehmen wie eine Person in der Familie nicht nur für den eigenen Nutzen aktiv ist, sondern das Erwirtschaftete verteilt. 

Eine B Corporation ist ein Unternehmen, das versucht, allen Menschen und Stakeholdern, der Umwelt und den Menschen um sich herum einen Nutzen zu stiften und nicht nur Geld zu verdienen. Sondern es macht etwas, das gut ist für die Menschen, für die Kommunen, für die Mitarbeitenden, für sich selbst und es auch für die Umwelt. Nebenbei wird auch noch Geld damit verdient. Das ist der Ansatz von Stakeholder Governance einfach erklärt.

Was ist der Unterschied zwischen einem B Corp Siegel und den vielen anderen?

Der größte Unterschied ist, dass wir immer das ganze Unternehmen anschauen. Anders als ein Fairtrade- oder Bio-Siegel schauen wir nicht nur auf ein Produkt oder einen Bereich. Wir schauen uns an, wie das Unternehmen strukturiert ist, wie es die Mitarbeitenden behandelt, wie die Lieferkette involviert ist und was in den Standort zurückgegeben wird. Alles, was uns entlang der Wertschöpfungskette begegnet, ist Teil des B Corp-Siegels.

Außerdem sind wir ein Movement. Es gibt eine höhere Mission und ein Netzwerk. Wir bringen die B Corps zusammen und wir streben gemeinsam einen Systemwandel an. Wir wollen der Welt zeigen, dass auch ein Unternehmen Profit machen kann, das etwas zurückgibt und im Gleichgewicht agiert.

In meiner Rolle betreue ich vor allem die deutsche Community. Wir tauschen uns regelmäßig aus, treffen uns einmal monatlich zu Calls, geben uns Updates, inspirieren und unterstützen uns gegenseitig.

Im März hatten wir eine große gemeinsame Kampagne: Den B Corp-Monat. Hier haben wir der ganzen Welt erzählt, was wir anders machen und warum B Corps über die Norm hinausgehen. Das Motto ist: We Go Beyond!

Man merkt stark, dass die Unternehmen in unserer Community in diesem Siegel nicht nur einen Marketing- oder Brandingvorteil sehen, sondern auch hinter der höheren Mission stehen. Sie wollen mit uns gemeinsam andere Unternehmen inspirieren, etwas zu bewegen.

Was ist B Lab und wie hängt das zusammen?

B Lab ist ein globales Netzwerk von Non-Profit-Organisationen, die vor 17 Jahren angefangen haben und beweisen wollten, dass es anders gehen muss. B Labs Aufgabe in der Bewegung ist es, die Standards zu entwickeln.

Wir bieten verschiedene Tools an. Das bekannteste ist wahrscheinlich das Business Impact Assessment – eine Art Fragebogen, ein Open Access Tool, was jedes Unternehmen weltweit kostenfrei nutzen kann und wo abgefragt wird, was ein Unternehmen für Praktiken macht. Wenn man hier gut abschneidet, kann es zu einer Zertifizierung kommen.

Dann haben wir noch verschiedene Programme, wo wir Unternehmen unterstützen, sich zusammenzutun und Tools wie den SDG Action Manager.

B Lab ist das Herzstück im Hintergrund von allen B Cooperations, die der Driver der Bewegung sind – also die bereits zertifizierten Unternehmen, welche sich alle drei Jahre neu zertifizieren lassen und sich alle auf eine Mission begeben haben - wie Patagonia, die als Erste mit dabei waren und jetzt 17 Jahre hintereinander rezertifiziert wurden.

Was steckt hinter der Bewegung und was ist das Ziel? Wie wollt ihr es erreichen?

Das Ziel von B Lab ist es, ein Wirtschaftssystem zu schaffen, in dem Unternehmen ihre Entscheidungen so treffen, dass sie Gutes für alle und alles um sich herum schaffen. Unsere Vision ist, dass wir alle Unternehmen weltweit dazu bringen wollen, das zu berücksichtigen. Um das zu schaffen, gehen wir verschiedene Wege. Wir wollen das System komplett verändern. Wir wollen, dass es eine Form des Unternehmertums gibt, in der das fest verankert sein muss.

Das geht einerseits durch die Zertifizierung, denn alle B Corps müssen das bereits in ihre Satzung aufgenommen haben. Andererseits darüber, dass wir Aufmerksamkeit schaffen bei den Endkonsumenten und der großen Masse, damit es eine Nachfrage gibt. Aber auch in Richtung von Investor:innen, indem man beweist, dass die B Corp Unternehmen stabiler und nachhaltig wirtschaften. Corona war hier ein gutes Beispiel, denn wir hatten in der Community weniger Einbüßen als bei vielen anderen Unternehmen.

Welche Kriterien müssen Unternehmen erfüllen und wie werden diese überprüft?

Um B Corp zu werden, müssen Unternehmen das B Impact Assessment ausfüllen. Das sind etwa 200 Fragen. Man muss mindestens 80 von diesen 200 Punkten erreichen. Es gibt fünf Bereiche: Leitungsstruktur, Mitarbeitende, Verbraucher, Community und Umwelt. Dann muss man seine Satzung ändern – das nennt sich Mission Lock, ist die Verpflichtung in die Zukunft und meistens der letzte Schritt. Alles ist transparent aufzulegen, Dokumente zur Verfügung zu stellen, die Analysten kommen vielleicht unangekündigt zu Gast und stellen Fragen. Bei großen Unternehmen kann so ein Prozess auch mal um die 7-8 Jahre dauern. Innerhalb des Prozesses tauchen oft neue Bereiche auf, die noch nicht so nachhaltig sind und das müssen manche Firmen erst mal umstrukturieren und alles neu dokumentieren.

Alle drei Jahre steht eine Neuzertifizierung an und das B Impact Assessment wird jedes Jahr anspruchsvoller. Kannst du dazu mehr sagen?

Die Rezertifizierung alle drei Jahre ist eine Regel für alle Unternehmen, die B Corp bleiben wollen und infolgedessen sie sich auch verbessern. Es gibt kein perfektes Unternehmen - es geht immer weiter und immer noch besser. Alle drei bis vier Jahre werden diese Standards angepasst. Wir sind mittlerweile bei der sechsten Auflage und Anfang des nächsten Jahres gibt es bereits eine Siebte. Wer mehr über die Evolution unserer Standards wissen will, findet das zum Beispiel in diesem Video oder unserer Ankündigung dazu.

Wie viele B Corps gibt es?

Es gibt weltweit 6.400 B Corps, in Europa über 1.000, UK hat alleine noch einmal 1.000 und in Deutschland sind wir mittlerweile 72. Hierbei zählt der Ort, des Hauptsitz und wo zertifiziert wurde. 

Was bedeutet es, als B Corp Unternehmen zertifiziert zu sein?

Viele Unternehmen nutzen es als Differenzierungsmerkmal gegenüber anderen. Im Grund ist es eine externe Bewertung, die Glaubwürdigkeit gibt, etwas, was bestätigt und womit man sich gerne schmückt. Dafür gibt es auch das Logo und viele nutzen es gerne in ihrer Kommunikation. Es kann natürlich auch für Investor:innen aussagekräftig sein. Mittlerweile ist es auch ein Vorteil, um junge, neue Mitarbeiter:innen zu finden.

Auch die Community ist sehr geschätzt – beispielsweise gibt es in der Beauty-Industrie mittlerweile sehr viele B Corps, die sich jetzt alle zur B Beauty Coalition zusammengetan haben, kooperieren und an übergeordneten Themen arbeiten. 

Ihr sprecht von einem rigorosen Testverfahren für vorbildliches Handeln. Wie schafft es beispielsweise ein so stark in der Kritik stehender Konzern wie Danone Waters sich zu zertifizieren?

Wir geben das Zertifikat ja nicht nur an Unternehmen, die perfekt sind. Auch das Bewertungssystem ist noch nicht perfekt – Mindeststandards kommen erst demnächst hinzu. Es kann also sein, dass Danone zum Beispiel in einigen Bereichen nicht so gut war, das aber in anderen extrem ausgeglichen hat. In Deutschland sind sie als Gruppe zertifiziert, also auch ihre Untergruppen wie Alpro, Milupa usw. 

Wir möchten die Standards nicht so hoch setzen, dass sich nur Vorreiter auszeichnen können. Aber was man auch sehen muss: Auch Danone hat die Satzung geändert, sehr viele Dinge umstrukturiert und muss sich im nächsten Jahr gegen die neuen Standards messen lassen. Und sie können es sich schwer erlauben, sich nicht rezertifizieren zu lassen. Da gibt es eine Kontroverse, aber auch einen Wandel - beides ist total wichtig und gut. Mit Nespresso ist es ähnlich – es gibt so viel Aufmerksamkeit auf diese Firmen und somit auf unsere Bewegung. Sie können auch ein großer Magnet für andere Firmen sein. Um einen systemischen Wandel zu schaffen, ist es wichtig, auch die Großen dabeizuhaben. Wenn die Gesellschaft hier kritisch draufschaut, ist das genau richtig, finde ich.

Was muss passieren, damit keine rein profit- und wachstumsorientierten Unternehmen mehr gegründet werden?

Ich glaube, es braucht schon den Druck der Masse und die Nachfrage der Konsument:innen. Dafür müssen die Menschen wissen, was B Corp bedeutet. Je mehr Unternehmen also dabei sind und je mehr Ausweichmöglichkeiten man als Kund:in hat, desto größer wird der Druck für andere, sich zu ändern. Es sollte nicht mehr ein Nice-to-have sein, als B Corp zertifiziert zu sein, sondern normal.

Kann B Corp wirklich einen Wandel voranbringen? Wie oder wo merkst du das? 

Ich würde sagen, das passiert dort, wo sich Unternehmen zusammentun, mit der Politik sprechen und beginnen, eigene Standards zu setzen, wie es bei der B Beauty Coalition jetzt passiert. Das sind mittlerweile über 200 Unternehmen. Das Gleiche passiert momentan im Fashionbereich. Da gibt es gerade ein Momentum, wo sich über die Größe und Masse Sub-Communities bilden, die echt etwas bewegen können.

Gab es ein Schlüsselereignis, das dich immer wieder motiviert, weiter an euren Zielen zu arbeiten?

Wir sind in Deutschland nur drei Vollzeitarbeitende. Wenn ich dann über all unsere großen Pläne spreche - mit der Politik sprechen, das Bewusstsein der Konsument*innen stärken usw. – dann ist es wunderbar zu sehen, wie mich die Community unterstützt. Neulich hatten wir einen zweitägigen Workshop mit Menschen aus der Community, wo wir geschaut haben, wie wir besser kommunizieren können. Das gibt mir viel Hoffnung und Motivation. 

Am liebsten hätten wir ein Team von 20 Leuten, um diese ganze Arbeit zu machen und viel mehr in die Kommunikation zu gehen.

Das Schönste in meinem Job ist es, die Menschen hinter den Namen zu treffen. Mir fällt immer wieder die große Verbundenheit und Hilfsbereitschaft untereinander auf. Da nehmen sich Menschen Zeit für die gute Sache. Niemand in dieser Community hat einen Vertrag für diese Zusammenarbeit unterschrieben, und doch übernehmen alle Verantwortung und gehen in die gleiche Richtung. 

Wie stellst du/ ihr euch eine gerechtere Wirtschaftswelt der Zukunft vor? 

Meine Traumvorstellung ist es, dass es keinen Egoismus mehr gibt. Es wäre schön, wenn die Menschen nicht mehr so viel gegeneinander arbeiten würden und die Ziele nicht mehr so eng mit Geldverdienen verbunden sind, sondern sie nach etwas streben, was etwas herbeiführt, was sie sich selbst wünschen. Das kann einerseits etwas Gutes sein, aber es kann auch einfach Freude machen, die Welt ein Stück schöner zu machen. Es wäre schön, wenn man wieder mehr nach seinem eigenen Ideal strebt. Unternehmer:innen sollten lieber nicht nur gründen, um zu gründen, sondern eine Passion haben und nebenbei noch Geld verdienen.

Wonach strebst du?

Mir gibt es total viel Energie, Menschen zusammenzubringen und Geschichten zu erzählen. Auch Menschen mitzureißen und schöne Momente zu kreieren, mag ich total gerne. Ich glaube, dass jeder solche Instinkte in sich trägt und wir alle mehr in uns danach suchen sollten, um unsere Werte, unsere Tätigkeiten und Aufgaben damit zu verbinden. Würden das alle machen, würde das die ganze Wirtschaftswelt auch verändern.

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