Sprechstunde

Marc Helwing: „Eine funktionierende Müllabfuhr ist essentiell”

von Isabelle Diekmann
17.04.2023

Sumatra ist die sechstgrößte Insel der Welt und hat eine einzigartige Pflanzen- und Tierwelt zu bieten. Doch die indonesische Insel wird von Plastikmüll regelrecht überflutet und der artenreiche Regenwald wird immer mehr in monokulturelle Palmölplantagen verwandelt, viele Menschen leben in Armut. Doch das wollen Marc, Basti, Leonie und Erich so nicht hinnehmen. Gemeinsam haben sie 2019 Project Wings gegründet – mit dem Ziel, auf Sumatra das größte Recyclingdorf der Welt zu bauen. Ein großartiges, innovatives Projekt, das auch du mit dem Kauf von share Produkten unterstützen kannst. Wir haben mit Marc – einem der vier Gründer – über Project Wings, die Herausforderungen auf Sumatra und die riesigen Potentiale von Recycling gesprochen.

Lieber Marc, kannst du uns erzählen, wann und wie es zur Gründung von Project Wings kam? Was sind eure Motivation und Ziele?

Wir vier haben zuvor alle mehrere Jahre für große Hilfsorganisationen gearbeitet und uns bei der Arbeit als Fundraiser in ganz Deutschland kennengelernt. Dabei haben wir festgestellt, dass wir sehr gut darin sind, Menschen davon zu begeistern, Gutes zu tun und zu helfen. Spenden für gute Zwecke zu sammeln hat uns unheimlich viel Spaß gebracht und wir konnten uns vorstellen, für immer für Hilfsorganisationen zu arbeiten. Wir wussten, dass in Deutschland immer weniger Personen spenden. Durch unsere Face-to-Face Arbeit mit Passant:innen in den Fußgängerzonen haben wir herausgefunden, was Menschen wirklich zum Spenden bewegt – dieses Wissen wollten und konnten wir gut nutzen. Und dann kam hinzu, dass einer von uns bereits ein kleines Projekt in Indonesien hatte. All diese Schritte haben uns dazu geführt, die Organisation 2019 zu gründen und ein professionelles Projekt aufzuziehen, mit dem wir gemeinsam langfristig etwas bewegen können. 

Was sind die Herausforderungen in Indonesien, speziell auf Sumatra, und wie seid ihr darauf aufmerksam geworden? 

Dass wir auf die besonderen Herausforderungen in Sumatra aufmerksam geworden sind, war zuerst einmal reiner Zufall. Basti war bereits dort mit einem kleinen Projekt tätig und kannte den Ort Bukit Lawang, „das Tor zum Regenwald”, über eine Freundin. Das Dorf liegt direkt am Regenwald mit der weltweit zweitgrößten Biodiversität und ist auch für Besucher:innen der einfachste Eingang in den Regenwald. Damit ist Bukit Lawang einer der wichtigsten strategischen Punkte, denn hier kommen Forschende zusammen, Personen, die die artenreiche Umgebung schützen möchten. Palmöl, Ökotourismus vs. „normaler” Tourismus, der viel verdrängt, Vorbild für ganz Indonesien – das sind nur einige Themen und Schlagwörter, die die Region als Pilot-Projekt für die Entwicklungszusammenarbeit prädestinieren. Dadurch sind gute Voraussetzungen gegeben, eine Müllabfuhr aufzubauen, Bäume zu pflanzen, Permakultur statt Monokultur probieren und vieles mehr. Viele Leute gucken auf Bukit Lawang und kommen hierher. Der Ort dient damit auch als Wissensquelle und Anreiz für andere Personen, die ihre Erfahrungen von Sumatra mit in andere Dörfer nehmen. Natürlich kann man Sumatra nicht mit Bali vergleichen, aber trotzdem ist Sumatra ein verhältnismäßig touristischer Ort, der viele Personen anzieht, sodass wir hier die notwendige Aufmerksamkeit für die wichtigen Projekte bekommen.

Foto: Project Wings

Wie ist die aktuelle Lage vor Ort, womit hat Sumatra besonders zu kämpfen?

Zu Beginn gab es hier keine Müllabfuhr, das ist ein großes Grundproblem, dem wir uns immer zuerst widmen müssen. Es gibt tausende Einwohner:innen, aber kein System, mit dem ihr Müll beseitigt wird. Alles wird auf einen Ort geschmissen, verbrannt, verbuddelt oder im Regenwald abgeladen. Im Regenwald wiederum stößt man oft auf illegale Rodungen oder auch Tiere, die gestohlen und auf dem Schwarzmarkt verkauft werden. Aufgrund des immer kleiner werdenden Lebensraums weichen Tiere auf die Felder und Lebensräume der Menschen aus, wodurch neue Konflikte entstehen. Der Fokus liegt hier auf dem Umweltschutz und auf Bildung, denn zum Glück herrscht vor Ort keine Hungersnot. Es geht vielmehr um eine richtige Infrastruktur, um den richtigen Umweltschutz – eine Müllabfuhr, Straßen, Strom, nachhaltige Energie und Gesundheit, um die Lage vor Ort zu verbessern und die Biodiversität zu schützen.

Foto: Project Wings

Ihr wollt das größte Recyclingdorf der Welt in Sumatra bauen. Wie genau wird dieses Dorf errichtet und welche Erfolge könnt ihr schon feiern?

Alles fängt mit der Müllabfuhr an, die in Sumatra mittlerweile auf einem verdammt guten Weg ist. Wir haben es mittlerweile geschafft, eine komplette Trashbank aufzubauen – Recylinganlagen, öffentliche Müllabfuhren und Müllabfuhrfahrzeuge. Das heißt, der Müll, der vorher in der Natur gelandet ist, wird in den meisten Fällen gesammelt, sortiert, gewaschen und zu gewissen Teilen weiterverarbeitet. Das geht natürlich nie zu 100 %, auch nicht in Deutschland. Man muss immer schauen, welcher Müll verwertet werden kann und wie sich das im Idealfall selbst finanzieren kann – zum Beispiel durch den Verkauf von Recyclaten, die weiter verkauft und verwendet werden können. Diese Müllabfuhr haben wir gemeinsam mit der Regierung und regionalen Organisationen geplant, aufgebaut und finanziert.

Für bestimmte Sorten von Plastikmüll, die nicht recycelt werden können, gibt es keine Verwendungsmöglichkeit. Gleichzeitig fehlt Geld für den Bau öffentlicher Gebäude – Bildungszentrum, Komposthäuser, Marktplatz, Büros. Zement ist vor Ort beispielsweise so teuer wie in Deutschland, obwohl die Menschen vor Ort nur ein Zehntel oder Zwölftel unseres Einkommens haben. Erschwerend hinzu kommen kaputte Straßen und lange Transportwege. Gemeinsam mit der Hochschule Koblenz, der Uni Münster und der Uni Stuttgart haben wir deshalb nach einer Möglichkeit gesucht, Gebäude vor Ort aus dieser einen Sorte Plastikmüll zu bauen und sind auf Ecobricks gestoßen – mit Plastikmüll befüllte Flaschen, die als Bausteine genutzt werden. Dieses System gab es bereits und wir konnten den bestehenden Prozess mit unseren Expert:innen in der Ausführung noch weiter optimieren und professionalisieren. Gewaschen und isoliert ist das Plastik – wenn es die richtigen Bedingungen erfüllt – dann kein Müll mehr, sondern ein neu aufbereiteter Rohstoff, ein Baumaterial. Mit Bambus, Holz, Lehm, Palmblättern und den Ecobricks können regional mit schnell nachwachsenden Rohstoffen Gebäude errichtet werden. Nur für die Fundamente wird teilweise noch Zement gebraucht, damit die Häuser auch jahrelang bestehen können.

Foto: Project Wings

Welches Potential seht ihr in Ecobricks? Was muss dafür getan werden, dass Ecobricks noch häufiger – auch in anderen Regionen – eingesetzt werden können?

Am wichtigsten ist es am Anfang immer, eine funktionierende Müllabfuhr aufzubauen – das muss immer das Kernstück sein. Man muss in der Lage sein, alle möglichen Müllsorten annehmen zu können und dann die bestmöglichen Lösungen zu finden, diese zu verarbeiten. Außerdem ist der Wissensaustausch über diese Projekte und Möglichkeiten unheimlich wichtig, damit auch andere Regionen davon profitieren können. Wir haben am Anfang damit begonnen, ein Ecoweg Pfandsystem aufzubauen, bei dem Einheimische die Möglichkeit hatten, selbst Müll zu sammeln, abzuwaschen und mit Stöckern in Flaschen zu stopfen – den Ecobricks. Dafür haben sie dann 30 Cent pro Stück bekommen. Das machen wir auch heute noch so. Im Nachhinein wäre es aber sinnvoller gewesen, erst die Müllabfuhr aufzubauen, um planbare Ressourcen zur Verfügung zu haben. Dafür braucht es aber natürlich auch die finanziellen Mittel – und so ist das eigenständige Sammeln des Mülls für die Ecobricks oft der erste Schritt.

Foto: Project Wings

Wir von share unterstützen auch euer Projekt, mit dem ihr weitere öffentliche Gebäude auf Sumatra baut. Um welche Gebäude handelt es sich und wieso sind die so wichtig für die Bevölkerung vor Ort?

Durch den Kauf von share Produkten wird zum einen der Bau einer Sporthalle unterstützt. Hier geht es vor allem darum, dass die Menschen vor Ort keine Möglichkeit haben, richtig Sport zu treiben. Insbesondere dann nicht, wenn es regnet. Wir glauben, dass Sport ein wichtiges Thema für die Gesundheit, aber auch für die Gesellschaft ist. Denn hier können wir einen sozialen Raum schaffen, der die Bindungen untereinander vor allem für Kinder und Jugendliche stärkt. Außerdem wird ein Auditorium gebaut, in dem es um Umweltthemen, aber auch generell um Nachhilfe und einen weiterführenden Wissensaustausch gehen soll. So werden beispielsweise Schüler:innen und Studierende von Schulen und Unis aus anderen Regionen eingeladen und referieren über den Regenwald. Damit wollen wir also Zusatzangebote anbieten und Jugendliche für Themen begeistern, die über die normale Schulbildung hinausgehen, und sie ausbilden. Und dann gibt es eine Bibliothek, in der sich interessierte Personen eigenständig mit Hilfe verschiedener Medien – von Büchern über Magazine bis hin zu Filmen – Wissen aneignen und vertiefen können.

Foto: Project Wings
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