Sprechstunde

Bettina Iseli: „Dass der Hunger zunimmt, ist ein Skandal“

von Linda Trutmann
12.01.2023

Bettina Iseli kämpfte in Ländern wie Kenia, in Pakistan oder Sri Lanka gegen den Hunger der Bevölkerung. Heute ist sie als Programmdirektorin dem Vorstand zugeordnet und verantwortet alle Projekte der Welthungerhilfe. Hier erklärt sie, warum es oft gut gemeinte aber schlecht gemachte Hilfe gibt – und wie seriöse Unterstützung wirklich funktioniert.

Zwei von drei deutschen Unternehmen engagieren sich heute sozial. Sie pflanzen Bäume, spenden Geld oder unterstützen lokale Initiativen. Das sollte Sie freuen, oder? 

Klar, das freut uns natürlich erst einmal sehr, gerade wenn es um das Thema Hunger geht. Neu ist in dem Zusammenhang, dass die Mitarbeitenden und Konsument:innen von den Unternehmen das soziale und gesellschaftliche Engagement regelrecht einfordern. Aber natürlich ist nicht jedes Engagement gleich gut. 

Was läuft bei manchem Engagement falsch? 

Manche Firmen engagieren sich vor allem deshalb, weil sie an ihre Außenwirkung denken. Andere Unternehmen möchten wirklich etwas bewegen und beschäftigen sich intensiv mit der jeweiligen Thematik – wie es bei share, Coffee Circle oder Atlas Copco der Fall ist. Die Motivation des Unternehmens spiegelt sich am Ende darin wider, wie sinnvoll und gut durchdacht das Engagement ist.

Wie kann ich als Laie "gutes" und "schlechtes" Engagement unterscheiden?

Als Konsument:in kann man kontrollieren, wie transparent das Unternehmen das Engagement und seine Wirkung kommuniziert, zum Beispiel ganz einfach auf der Website. Dabei sollte man auch darauf achten, wie vertrauenswürdig die Partnerorganisationen sind, mit denen das Unternehmen zusammenarbeitet, zum Beispiel ob die Partnerorganisation das DZI-Siegel trägt – dieses Siegel belegt, dass eine Organisation mit den anvertrauten Geldern sorgfältig und verantwortungsvoll umgeht.

Sie haben selber in Ländern wie Pakistan oder Kenia gearbeitet. Wie macht Hilfe wirklich einen Unterschied? 

Wichtig ist es, vor allem die lokale Bevölkerung mit einzubeziehen und den Dialog auf Augenhöhe zu suchen. Das bedeutet, genau hinzuhören, was die Menschen brauchen, was sie zu sagen haben – aber auch anzuerkennen, welche Ressourcen schon vorhanden sind, um sie Situation zu verbessern. 

Foto: Welthungerhilfe

Einbeziehen der Bevölkerung klingt immer gut – aber wie kann das konkret aussehen? 

Indem wir schon bei der frühen Planung des Projektes die Bevölkerung mit einbeziehen. Hier fragen wir zunächst die Bedarfe ab: Was benötigen die Gemeinden? Aber auch: Welche Lösungen wurden bereits ausprobiert: Was hat funktioniert und was nicht? In sogenannten Fokusgruppendiskussionen wird all das diskutiert und mit der Bevölkerung abgestimmt. Wir sprechen natürlich zusätzlich mit Vertreter:innen von öffentlichen Behörden, auch ihre Sichtweisen berücksichtigen wir bei der Konzeption der Projekte. Auch bei der Umsetzung wird die Bevölkerung mit einbezogen.

Bei landwirtschaftlichen Projekten probieren Bäuer:innen die neuen Ansätze aus und teilen ihre Erfahrungen mit der Bevölkerung – so dass sich die Menschen selbst ein Bild davon machen können, was gut war und was noch verbessert werden könnte. Dann gibt es bei jedem Projekt auch ein Beschwerdeverfahren, wo Beschwerden, aber auch Vorschläge oder Ideen schriftlich oder oft auch über Hotlines abgegeben werden können. Kurzum: Das Einbeziehen der lokalen Bevölkerung – aber auch der Politiker und Behörden vor Ort – ist enorm wichtig. Wir wissen, wenn das Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen lokalen Akteuren gelingt, dann sind wir gemeinsam langfristig am erfolgreichsten.

Foto: Welthungerhilfe

Welche Rolle spielt die Nothilfe in Extremsituationen, während einer extremen Dürre oder einem Krieg?

Sie ist enorm wichtig. Ich war selbst letzte Woche im Sudan, da geht es wirklich erst einmal darum, das Überleben der Menschen zu sichern, ihnen Nahrung zu liefern, Toiletten, die grundlegende Versorgung eben. Wenn das niemand macht, wird es ganz düster.   

share unterstützt zum Beispiel in Uganda und Malawi Bildungsprojekte oder in Bangladesch das Verteilen von Hygieneprodukten oder die Durchführung von Hygieneschulungen. Inwiefern sind solche Schulungen und Bildungsprojekte wichtig, um auch den Hunger in den jeweiligen Ländern zu minimieren? 

Bildung ist eine der wichtigsten Stellschrauben, um den Negativkreislauf zu durchbrechen: Kinder, die zur Schule gehen, werden eher einen besseren Job finden und am Ende im besten Fall auch mehr verdienen. Mehr Einkommen heißt wiederum weniger Hunger. Sauberes Wasser ist wichtig, um Krankheiten zu verhindern – aber die beste Nahrung bringt nichts, wenn die Nährstoffe nicht im Körper behalten werden, weil die Menschen zu oft krank sind.

Die Welthungerhilfe arbeitet mit verschiedenen Unternehmen zusammen: Wie wählen Sie ihre Kooperationspartner:innen aus? 

Wir schauen sehr genau hin, mit welchen Unternehmen wir zusammenarbeiten. Welche sozialen und ökologischen Standards sie einhalten. Uns ist wichtig, dass sie ähnliche Werte und Ziele haben wie die Welthungerhilfe. Unsere Organisation mit ihren über 3000 Mitarbeiter:innen in 35 Ländern wird geprägt durch: Respekt, Mut, Transparenz, Verantwortung für das eigene Handeln, Neugier und leidenschaftliches Engagement. Unser Ziel ist es, verlässliche Partner zu finden, die bereit sind, auf diese Weise mit uns neue Wege zu gehen.

Foto: Welthungerhilfe

Spenden gegen den Hunger

Als Spender möchte ich, dass meine Hilfe auch dort ankommt, wo sie benötigt wird. Wie kann ich da sicher gehen? 

Indem man auf Transparenz achtet. Wir als Welthungerhilfe sind vor Ort und stellen sicher, wo das Geld ankommt – und auch, wo es überhaupt benötigt wird. Wir veröffentlichen in unseren Jahresberichten genau, wo die Spenden hinfließen. Zusätzlich werden unsere Projekte inhaltlich, aber auch unsere Buchhaltung extern und intern regelmäßig geprüft. Wir haben also eine ganze Reihe an Kontrollmechanismen.  

Die weltweite Hungerkrise hat sich in diesem Jahr unter anderem durch den Krieg in der Ukraine massiv verschärft. Wie schwer ist es für Sie zurzeit, optimistisch in die Zukunft zu schauen? 

Dass wir im Jahr 2022 steigende Hungerzahlen haben, ist für mich ein Skandal. Aber ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch und bin überzeugt, dass wir mit unserer Arbeit einen Unterschied machen können, viele Beispiele weltweit zeigen ja auch, dass eine Welt ohne Hunger möglich ist, wenn es entsprechend priorisiert wird. Für 2022 liegt noch kein Jahresabschluss vor, aber wir sehen, dass die Spendenbereitschaft bei uns nicht nachgelassen hat. Das ist ein besonders ermutigendes Zeichen, dass unsere Spender:innen trotz Sorgen und Ängsten hier im Land das Leid der Menschen im globalen Süden nicht vergessen. Und das motiviert ungemein.

Haben Sie noch Momente bei Ihrer Arbeit, wo Sie denken: Es lohnt sich! 

Oh, da gibt es sehr viele. Besonders dann, wenn ich vor Ort in den jeweiligen Ländern sehe, was die Arbeit der Welthungerhilfe bewirkt. Neulich habe ich im Sudan eine Frauengruppe getroffen, die gemeinsam gespart und einen Kredit bekommen hat. Eine der Frauen hat angefangen, Seifen zu produzieren und zu verkaufen, andere haben Kioske aufgemacht oder einen Gemüsegarten angelegt, das war sehr schön zu sehen. Aber auch die Solidarität von Menschen aus Deutschland zu spüren, die unsere Arbeit mit Spenden unterstützen, motiviert mich ungemein.

Vermissen Sie es manchmal, lange vor Ort zu sein und zu helfen? 

Natürlich bin ich nicht mehr so viel unterwegs wie früher, aber als Programmdirektorin sieht man die übergreifenden Bewegungen. Das ist auch großartig.

Portrait: Christoph Papsch / Welthungerhilfe